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Lenz Page 5


  Man wundere sich nicht, daß ich so sagte, und mit ihm umgieng; er zeigte immer großen Verstand und ein ausnehmend theilnehmendes Herz; wenn die Anfälle der Schwermuth vorüber waren, schien alles so sicher und er selbst war so liebenswürdig, daß man sich fast ein Gewissen daraus machte ihn zu argwohnen oder zu geniren. Man setze noch das zärtlichste Mitleiden hinzu, das seine unermeßliche Qual, deren Zeuge wir nun so oft gewesen, uns einflößen mußte. Denn fürchterlich und höllisch war es was er ausstund, und es durchbohrte und zerschnitt mir das Herz, wenn ich an seiner Seite die Folge der Prinzipien die so manche heutige Modebücher einflößen, die Folgen seines Ungehorsams gegen seinen Vater, seiner herumschweifenden Lebensart, seiner unzweckmäßigen Beschäftigungen, seines häufigen Umgangs mit Frauenzimmern, durchempfinden mußte. Es war mir schrecklich und ich empfand eigene, nie empfundene Marter, wenn er, auf den Knieen liegend, seine Hand in meiner, seinen Kopf auf meinem Kniee gestützt, sein blasses, mit kaltem Schweiß bedecktes Gesicht in meinem Schlafrock verhüllt, am ganzen Leibe bebend und zitternd, wenn er so, nicht beichtete, aber die Ausflüsse seines gemarteten Gewissens und unbefriedigten Sehnsucht nicht zurück halten konnte. — Er war mir um so bedauerungswürdiger, je schwerer ihm zu seiner Beruhigung beizukommen war, da unsere gegenseitigen Prinzipien einander gewaltig zuwider, wenigstens von einander verschieden schienen.

  Nun wieder zur Sache: Ich sagte, er ließ sich’s gefallen zwei Männer auf seinem Zimmer zu haben. Ich begleitete ihn hinein. Der eine seiner Wächter durchschaute ihn mit starren, erschrockenen Augen. Um diesen etwas zu beruhigen sagte ich dem Hr. L. nun vor den zwei Wächtern auf französisch was ich ihm vorhin schon auf meinem Zimmer gesagt hatte, nämlich daß ich ihn liebte, so wie er mich; daß ich seine Erhaltung wünschte und wünschen müßte, da er selbst sähe daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über ihn ließen, ich hätte daher diese zwei Bürger gebeten bei ihm zu schlafen, damit er Gesellschaft, und, im Fall der Noth, Hilfe hätte. Ich beschloß dieß mit einigen Küssen die ich dem unglücklichen Jüngling von ganzem Herzen auf den Mund drückte, und gieng mit zerschlagenen, zitterden Gliedern zur Ruhe.

  Da er im Bett war sagte er unter andern zu seinen Wächtern: »Ecoutez, nous ne voulons point faire de bruit, si vous avez un couteau, donnez-le moi tranquillement et sans rien craindre.« Nachdem er oft deswegen in sie gesetzt und nichts zu erhalten war, so fieng er an sich den Kopf an die Wand zu stoßen. Während dem Schlaf hörten wir ein öfteres Poltern das uns bald zu-, bald abzunehmen schien, und wovon wir endlich erwachten. Wir glaubten es wäre auf der Bühne, konnten aber keine Ursache davon errathen. — Es schlug drei, und das Poltern währte fort; wir schellten um ein Licht zu bekommen; unsre Leute waren alle in fürchterlichen Träumen versenkt und hatten Mühe sich zu ermuntern. Endlich erfuhren wir daß das Poltern von Hrn. L. käme und zum Theil von den Wächtern, die, weil sie ihn nicht aus den Händen lassen durften, durch Stampfen auf den Boden Hilfe begehrten. Ich eilte in sein Zimmer. So bald er mich sah, hörte er auf sich den Wächtern aus den Händen ringen zu wollen. Die Wächter ließen dann auch nach ihn festzuhalten. Ich winkte ihnen ihn frei zu lassen, saß auf sein Bette, redete mit ihm, und auf sein Begehren für ihn zu beten, betete ich mit ihm. Er bewegte sich ein wenig, und einsmals schmiß er seinen Kopf mit großer Gewalt an die Wand, die Wächter sprangen zu und hielten ihn wieder.

  Ich gieng und ließ einen dritten Wächter rufen. Da Hr. L. den dritten sah, spottete er ihrer, sie würden alle drei nicht stark genug für ihn seyn.

  Ich befahl in’s geheime mein Wäglein einzurichten, zu decken, noch zwei Pferde zu suchen zu den Meinigen, beschickte Seb. Scheidecker, Schullehrer von Bellefosse und Johann David Bohy, Schullehrer von Solb, zween verständige, entschlossene Männer und beide von Hrn. L. geliebt. Johann Georg Claude, Kirchenpfleger von Waldersbach, kam auch; es wurde lebendig im Haus, ob es schon noch nicht Tag war. Hr. L. merkte was, und so sehr er bald List, bald Gewalt angewendet hatte los zu kommen, den Kopf zu zerschmettern, ein Messer zu bekommen, so ruhig schien er auf ein Mal.

  Nachdem ich alles bestellt hatte, gieng ich zu Hrn. L., sagte ihm, damit er bessere Verpflegung nach seinen Umständen haben könnte, hatte ich einige Männer gebeten ihn nach Straßburg zu begleiten und mein Wäglein stünde ihm dabei zu Diensten.

  Er lag ruhig, hatte nur einen einzigen Wächter bei sich sitzen. Auf meinen Vortrag jammerte er, bat mich nur noch acht Tage mit ihm Geduld zu haben (man mußte weinen wenn man ihn sah). — Doch sprach er, er wolle es überlegen. Eine Viertelstunde darauf ließ er mir sagen: Ja, er wolle verreisen, stund auf, kleidete sich an, war ganz vernünftig, packte zusammen, dankte jedem in’s besondere auf das Zärtlichste, auch seinen Wächtern, suchte meine Frau und Mägde auf, die sich vor ihm versteckt und stille hielten, weil kurz vorher noch, sobald er nur eine Weiberstimme hörte, oder zu hören glaubte, er in größere Wuth gerieth. Nun fragte er nach allen, dankte allen, bat alle um Vergebung, kurz nahm von jedem so rührenden Abschied, daß aller Augen in Thränen gebadet stunden.

  Und so reiste dieser bedauerungswürdige Jüngling von uns ab, mit drei Begleitern und zwei Fuhrleuten. Auf der Reise wandte er nirgends keine Gewalt an, da er sich übermannt sahe; aber wohl List, besonders zu Ensisheim, wo sie über Nacht blieben. Aber die beiden Schulmeister erwiederten seine listige Höflichkeit mit der Ihrigen, und alles gieng vortrefflich wohl aus.

  So oft wir reden wird von uns geurtheilt, will geschweigen, wenn wir handeln. Hier schon fällt man verschiedene Urtheile von uns; die Einen sagten: wir hätten ihn gar nicht aufnehmen sollen, — die Andern: wir hätten ihn nicht so lange behalten, — und die Dritten: wir hätten ihn noch nicht fortschicken sollen.

  So wird es, denke ich, zu Straßburg auch seyn. Jeder urtheilt nach seinem besondern Temperament (und anders kann er nicht) und nach der Vorstellung, die er sich von der ganzen Sache macht, die aber unmöglich getreu und richtig seyn kann, wenigstens mußten unendlich viele Kettengleiche darin fehlen, ohne die man kein richtig Urtheil fällen kann, die aber ausser uns nur Gott bekannt seyn und werden können; weil es unmöglich wäre sie getreu zu beschreiben, und doch oft in einem Ton, in einem Blick, der nicht beschrieben werden kann, etwas steckt, das mehr bedeutet als vorhergegangene erzählbare Handlungen.

  Alles was ich auf die nun, auch die zu erwartenden, einander zuwiderlaufenden, sich selbst bestreitenden Urtheile, antworten werde, ist: Alles was wir hierin gethan, haben wir vor Gott gethan, und so wie wir jedesmal allen Umständen nach glaubten, daß es das Beste wäre.

  Ich empfehle den bedauerungswürdigen Patienten der Fürbitte meiner Gemeinen und empfehle ihn der nämlichen Absicht jedem der dieß liest.

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  * Daß diese Friedericke die Pfarrerstochter aus Sesenheim war, geht aus dem Briefe von Lenz Salzmann hervor.

  from: Poetry and Truth

  by Johann Wolfgang von Goethe

  WILL JEMAND unmittelbar erfahren, was damals in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gespro-chen und verhandelt worden, der lese den Aufsatz Herders über Shakespeare, in dem Hefte »Von deutscher Art und Kunst«; ferner Lenzens »Anmerkungen übers Theater«, denen eine Übersetzung von »Love’s labour’s lost« hinzugefügt war. Herder dringt in das Tiefere von Shakspeares Wesen und stellt es herrlich dar; Lenz beträgt sich mehr bilderstürmerisch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters, und will denn eben all und überall nach Shakspearescher Weise gehandelt haben. Da ich diesen so talentvollen als seltsamen Menschen hier zu erwähnen veranlaßt werde, so ist wohl der Ort, versuchsweise einiges über ihn zu sagen. Ich lernte ihn erst gegen das Ende meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir sahen uns selten; seine Gesellschaft war nicht die meine, aber wir suchten doch Gelegenheit uns zu treffen, und teilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Jünglinge, ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form niedliche etwas abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen; blaue Augen, blonde Haare, kurz ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen von Zeit zu Zeit eins begegnet ist; einen sanften, gleic
hsam vorsichtigen Schritt, eine angenehme nicht ganz fließende Sprache, und ein Betragen, das zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich bewegend einem jungen Manne gar wohl anstand. Kleinere Gedichte, besonders seine eignen, las er sehr gut vor, und schrieb eine fließende Hand. Für seine Sinnesart wüßte ich nur das englische Wort whimsical, welches, wie das Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in einem Begriff zusammenfaßt. Niemand war vielleicht eben deswegen fähiger als er, die Ausschweifungen und Auswüchse des Shakspeareschen Genies zu empfinden und nachzubilden. Die obengedachte Übersetzung gibt ein Zeugnis hievon. Er behandelt seinen Autor mit großer Freiheit, ist nichts weniger als knapp und treu, aber er weiß sich die Rüstung oder vielmehr die Possenjacke seines Vorgängers so gut anzupassen, sich seinen Gebärden so humoristisch gleichzustellen, daß er demjenigen, den solche Dinge anmuteten, gewiß Beifall abgewann.

  [Teil III, Buch 11]

  Das Äußerliche dieses merkwürdigen Menschen ist schon umrissen, seines humoristischen Talents mit Liebe gedacht; nun will ich von seinem Charakter mehr in Resultaten als schildernd sprechen, weil es unmöglich wäre, ihn durch die Umschweife seines Lebensganges zu begleiten, und seine Eigenheiten darstellend zu überliefern.

  Man kennt jene Selbstquälerei, welche, da man von außen und von andern keine Not hatte, an der Tagesordnung war, und gerade die vorzüglichsten Geister beunruhigte. Was gewöhnliche Menschen, die sich nicht selbst beobachten, nur vorübergehend quält, was sie sich aus dem Sinne zu schlagen suchen, das ward von den besseren scharf bemerkt, beachtet, in Schriften, Briefen und Tagebüchern aufbewahrt. Nun aber gesellten sich die strengsten sittlichen Forderungen an sich und andere zu der größten Fahrlässigkeit im Tun, und ein aus dieser halben Selbstkenntnis entspringender Dünkel verführte zu den seltsamsten Angewohnheiten und Unarten. Zu einem solchen Abarbeiten in der Selbstbeobachtung berechtigte jedoch die aufwachende empirische Psychologie, die nicht gerade alles was uns innerlich beunruhigt, für bös und verwerflich erklären wollte, aber doch auch nicht alles billigen konnte; und so war ein ewiger nie beizulegender Streit erregt. Diesen zu führen und zu unterhalten übertraf nun Lenz alle übrigen Unoder Halbbeschäftigten, welche ihr Inneres untergruben, und so litt er im allgemeinen von der Zeitgesinnung, welche durch die Schilderung Werthers abgeschlossen sein sollte; aber ein individueller Zuschnitt unterschied ihn von allen übrigen, die man durchaus für offene redliche Seelen anerkennen mußte. Er hatte nämlich einen entschiedenen Hang zur Intrige, und zwar zur Intrige an sich, ohne daß er eigentliche Zwecke, verständige, selbstische, erreichbare Zwecke dabei gehabt hätte; vielmehr pflegte er sich immer etwas Fratzenhaftes vorzusetzen, und eben deswegen diente es ihm zur beständigen Unterhaltung. Auf diese Weise war er zeitlebens ein Schelm in der Einbildung, seine Liebe wie sein Haß waren imaginär, mit seinen Vorstellungen und Gefühlen verfuhr er willkürlich, damit er immerfort etwas zu tun haben möchte. Durch die verkehrtesten Mittel suchte er seinen Neigungen und Abneigungen Realität zu geben, und vernichtete sein Werk immer wieder selbst; und so hat er niemanden den er liebte, jemals genützt, niemanden den er haßte, jemals geschadet, und im ganzen schien er nur zu sündigen, um sich strafen, nur zu intrigieren, um eine neue Fabel auf eine alte pfropfen zu können.

  Aus wahrhafter Tiefe, aus unerschöpflicher Produktivität ging sein Talent hervor, in welchem Zartheit, Beweglichkeit und Spïtzfindigkeit mit einander wetteiferten, das aber, bei aller seiner Schönheit, durchaus kränkelte, und gerade diese Talente sind am schwersten zu beurteilen. Man konnte in seinen Arbeiten große Züge nicht verkennen; eine liebliche Zärtlichkeit schleicht sich durch zwischen den albernsten und barockesten Fratzen, die man selbst einem so gründlichen und anspruchlosen Humor, einer wahrhaft komischen Gabe kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus lauter Nichts zusammengesetzt, dem er durch seine Rührigkeit eine Bedeutung zu geben wußte, und er konnte um so mehr viele Stunden verschlendern, als die Zeit die er zum Lesen anwendete, ihm, bei einem glücklichen Gedächtnis, immer viel Frucht brachte, und seine originelle Denkweise mit mannigfaltigem Stoff bereicherte.

  Man hatte ihn mit livländischen Kavalieren nach Straßburg gesendet, und einen Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können. Der ältere Baron ging für einige Zeit ins Vaterland zurück, und hinterließ eine Geliebte, an die er fest geknüpft war. Lenz, um den zweiten Bruder, der auch um dieses Frauenzimmer warb, und andere Liebhaber zurückzudrängen, und das kostbare Herz seinem abwesenden Freunde zu erhalten, beschloß nun selbst sich in die Schöne verliebt zu stellen, oder, wenn man will, zu verlieben. Er setzte diese seine These mit der hartnäckigsten Anhänglichkeit an das Ideal, das er sich von ihr gemacht hatte, durch, ohne gewahr werden zu wollen, daß er so gut als die übrigen ihr nur zum Scherz und zur Unterhaltung diene. Desto besser für ihn! denn bei ihm war es auch nur Spiel, welches desto länger dauern konnte als sie es ihm gleichfalls spielend erwiderte, ihn bald anzog, bald abstieß, bald hervorrief, bald hintansetzte. Man sei überzeugt, daß wenn er zum Bewußtsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Glück gewünscht habe.

  Übrigens lebte er, wie seine Zöglinge, meistens mit Offizieren der Garnison, wobei ihm die wundersamen Anschauungen, die er später in dem Lustspiel »Die Soldaten« aufstellte, mögen geworden sein. Indessen hatte diese frühe Bekanntschaft mit dem Militär die eigene Folge für ihn, daß er sich für einen großen Kenner des Waffenwesens hielt; auch hatte er wirklich dieses Fach nach und nach so im Detail studiert, daß er, einige Jahre später, ein großes Memoire an den französischen Kriegsminister aufsetzte, wovon er sich den besten Erfolg versprach. Die Gebrechen jenes Zustandes waren ziemlich gut gesehn, die Heilmittel dagegen lächerlich und unausführbar. Er aber hielt sich überzeugt, daß er dadurch bei Hofe großen Einfluß gewinnen könne, und wußte es den Freunden schlechten Dank, die ihn, teils durch Gründe, teils durch tätigen Wider-stand, abhielten, dieses phantastische Werk, das schon sauber abgeschrieben, mit einem Briefe begleitet, kuvertiert und förmlich adressiert war, zurückzuhalten, und in der Folge zu verbrennen.

  Mündlich und nachher schriftlich hatte er mir die sämtlichen Irrgänge seiner Kreuz- und Querbewegungen, in bezug auf jenes Frauenzimmer vertraut. Die Poesie die er in das Gemeinste zu legen wußte, setzte mich oft in Erstaunen, so daß ich ihn dringend bat, den Kern dieses weitschweifigen Abenteuers geistreich zu befruchten, und einen kleinen Roman daraus zu bilden; aber es war nicht seine Sache, ihm konnte nicht wohl werden, als wenn er sich grenzenlos im einzelnen verfloß und sich an einem unendlichen Faden ohne Absicht hinspann. Vielleicht wird es dereinst möglich, nach diesen Prämissen, seinen Lebensgang, bis zu der Zeit da er sich in Wahnsinn verlor, auf irgend eine Weise anschaulich zu machen; gegenwärtig halte ich mich an das nächste, was eigentlich hierher gehört.

  Kaum war »Goetz von Berlichingen« erschienen, als mir Lenz einen weitläuftigen Aufsatz zusendete, auf geringes Konzeptpapier geschrieben, dessen er sich gewöhnlich bediente, ohne den mindesten Rand weder oben noch unten, noch an den Seiten zu lassen. Diese Blätter waren betitelt:»Über unsere Ehe«, und sie würden, wären sie noch vorhanden, uns gegenwärtig mehr aufklären als mich damals, da ich über ihn und sein Wesen noch sehr im dunkeln schwebte. Das Hauptabsehen dieser weitläuftigen Schrift war, mein Talent und das seinige neben einander zu stellen; bald schien er sich mir zu subordinieren, bald sich mir gleich zu setzen; das alles aber geschah mit so humoristischen und zierlichen Wendungen, daß ich die Ansicht, die er mir dadurch geben wollte, um so lieber aufnahm, als ich seine Gaben wirklich sehr hoch schätzte und immer nur darauf drang, das er aus dem formlosen Schweifen sich zusammenziehen, und die Bildungsgabe, die ihm angeboren war, mit kunstgemäßer Fassung benutzen möchte. Ich erwiderte sein Vertrauen freundlichst, und weil er in seinen Blättern auf die innigste Verbindung drang (wie denn auch schon der wunderliche Titel andeutete), so teilte ich ihm von nun an alles mit, sowohl das schon Gearbeitete als was ich vorhatte; er sendete mir dagegen nach und nach seine Manuskripte, den »Hofmeister«, den »Neuen menoza«, die Soldaten«, Nachbildun
gen des Plautus, und jene Übersetzung des englischen Stücks als Zugabe zu den »Anmerkungen über das Theater«.

  Bei diesen war es mir einigermaßen auffallend, daß er in einem lakonischen Vorberichte sich dahin äußerte, als sei der Inhalt dieses Aufsatzes, der mit Heftigkeit gegen das regelmäßige Theater gerichtet war, schon vor einigen Jahren, als Vorlesung, einer Gesellschaft von Literaturfreunden bekannt geworden, zu der Zeit also, wo »Goetz« noch nicht geschrieben gewesen. In Lenzens Straßburger Verhältnissen schien ein literarischer Zirkel den ich nicht kennen sollte, etwas problematisch; allein ich ließ es hingehen, und verschaffte ihm zu dieser wie zu seinen übrigen Schriften bald Verleger, ohne auch nur im mindesten zu ahnen, daß er mich zum vorzüglichsten Gegenstande seines imaginären Hasses, und zum Ziel einer abenteuerlichen und grillenhaften Verfolgung ausersehn hatte.

  [Teil III, Buch 14]

  Lenz

  by Georg Büchner

  THE 20TH, Lenz walked through the mountains. Snow on the peaks and upper slopes, gray rock down into the valleys, swatches of green, boulders, and firs. It was sopping cold, the water trickled down the rocks and leapt across the path. The fir boughs sagged in the damp air. Gray clouds drifted across the sky, but everything so stifling, and then the fog floated up and crept heavy and damp through the bushes, so sluggish, so clumsy. He walked onward, caring little one way or another, to him the path mattered not, now up, now down. He felt no fatigue, except sometimes it annoyed him that he could not walk on his head. At first he felt a tightening in his chest when the rocks skittered away, the gray woods below him shook, and the fog now engulfed the shapes, now half-revealed their powerful limbs; things were building up inside him, he was searching for something, as if for lost dreams, but was finding nothing. Everything seemed so small, so near, so wet, he would have liked to set the earth down behind an oven, he could not grasp why it took so much time to clamber down a slope, to reach a distant point; he was convinced he could cover it all with a pair of strides. Only sometimes when the storms tossed the clouds into the valleys and they floated upwards through the woods and voices awakened on the rocks, like far-echoing thunder at first and then approaching in strong gusts, sounding as if they wanted to chant the praises of the earth in their wild rejoicing, and the clouds galloped by like wild whinnying horses and the sunshine shot through them and emerged and drew its glinting sword on the snowfields so that a bright blinding light knifed over the peaks into the valleys; or sometimes when the storms drove the clouds downwards and tore a light-blue lake into them and the sound of the wind died away and then like the murmur of a lullaby or pealing bells rose up again from the depths of ravines and tips of fir trees and a faint reddishness climbed into the deep blue and small clouds drifted by on silver wings and all the mountain peaks, sharp and firm, glinted and gleamed far across the countryside, he would feel something tearing at his chest, he would stand there, gasping, body bent forward, eyes and mouth open wide, he was convinced he should draw the storm into himself, contain everything within himself, he stretched out and lay over the earth, he burrowed into the universe, it was a pleasure that gave him pain; or he would remain still and lay his head upon the moss and half-close his eyes and then everything receded from him, the earth withdrew beneath him, it became as tiny as a wandering star and dipped into a rushing stream whose clear waters flowed beneath him. But these were only moments, and then he got up, calm, steady, quiet, as if a shadow play had passed before him, he had no memory of anything. Toward evening he came to the mountain ridge, to the snowfield from which one again descended westwards into the plain, he sat down at the crest. Things had grown more quiet toward evening; the clouds lay still and solid in the sky, as far as the eye could see, nothing but peaks, broad downward slopes, and everything so silent, gray, twilit; a terrible solitude came over him, he was alone, all alone, he wanted to talk to himself, but he could not, he hardly dared breathe, the crunch of his foot sounded like thunder beneath him, he had to sit down; he was seized by a nameless anxiety in this emptiness, he was in a void, he sprang to his feet and raced down the slope. It had gotten dark, sky and earth melted together. It was as if something were following him, as if something terrible would overtake him, something no human could bear, as if madness were hunting him down on horseback. At last he heard voices, he saw lights, he breathed easier, he was told Waldbach lay half an hour away. He went through the village, lights shone through the windows, as he passed by he saw children at tables, old women, young girls, the faces all calm and quiet, the light seemed to pour forth from them, he felt at ease, he was soon in the parsonage in Waldbach. They were sitting at the table, he went in; curls of blond hair fell around his pale face, his eyes and mouth twitched, his clothes were torn. Oberlin welcomed him, he took him to be a journeyman. “Welcome, whoever you are.”—I am a friend of . . . and bring you greetings from him. “Your name, if you please?” . . . Lenz. “Aha, it’s appeared in print, hasn’t it? Haven’t I read several plays attributed to a gentleman by this name?” Yes, but I beg you not to judge me by that. They continued talking, he searched for words and they came tumbling out, but it was torture; little by little he calmed down, the cozy room and the tranquil faces looming out of the shadows, the bright face of a child on which all the light seemed to rest, trusting eyes raised in curiosity, and finally the mother sitting quietly back in the shadows, angel-like. He began to talk of his homeland; he sketched its various local costumes, they all pressed around him to join in, he immediately felt at home, his pale child’s face now all smiles, his lively talk; he felt at ease, it was as if familiar figures, forgotten faces were emerging from the dark, old songs were awakening, he was away, far away. Finally it was time to go, he was led across the street, the parsonage was too cramped, he was given a room in the schoolhouse. He went upstairs, it was cold up there, a large room, empty, a high bed off to the back, he placed the lamp on the table and paced back and forth, he thought back on the day, how he had come here, where he was, the room in the parsonage with its lights and kindly faces, it seemed like a shadow, a dream, and emptiness came over him again as it had on the mountain, but he could no longer fill it with anything, the lamp was out, the darkness engulfed everything; he was seized by a nameless anxiety, he sprang to his feet, he ran through the room, down the stairs, out of the house; but in vain, everything dark, nothing, he seemed a dream to himself, stray thoughts flitted by, he grasped after them, he felt he had to keep on saying “Our Father” over and over again; he could no longer find himself, a dark instinct drove him to save himself, he butted against rocks, he tore at himself with his nails, the pain began to restore his consciousness, he threw himself into the fountain, but the water was not deep, he splashed around. Then people appeared, they had heard it, they called out to him. Oberlin came running; Lenz had come back to his senses, to the full consciousness of his condition, he felt at ease again, now he was ashamed and sorry to have frightened the good people, he told them it was his custom to take cold baths and returned upstairs; exhaustion allowed him at last to rest.